Durandus von Mende (1230-1296)
Rationale divinorum officiorum.
Johann Fust & Peter Schöffer, Mainz, 6. Oktober 1459
Auf Pergament gedruckt.
Kolophon und Datierung auf dem letzten Blatt.
Wahrlich ein unglaublicher Schatz!
Es handelt sich hierbei um eines der frühesten gedruckten Bücher überhaupt. Es ist der vierte Druck, der auf derselben Presse entstand wie die nur vier Jahre zuvor erschienene legendäre Gutenbergbibel. Gleichzeitig ist dies eine der schönsten und seltensten frühen Inkunabeln, auf den damals unglaublich teuren Rohstoff Pergament gedruckt und somit auch bezüglich Provenienz aus bestem Hause.
Diese hier vorliegende Druckausgabe der „Rationale“ von Durandus ist von höchster Bedeutung für die Geschichte der Typographie und gilt als das dritte datierte und vierte überhaupt gedruckte Buch. Vorausgegangen waren lediglich die um 1455 gedruckte Gutenbergbibel sowie die ebenfalls in der Offizin von Fust und Schöffer entstandenen Psalter vom 14. August 1457 und vom 29. August 1459. Eigens für diesen Druck schuf Peter Schöffer die sogenannte „Durandus-Type“, eine Gotico-Antiqua, die Elemente der Rotunda mit den Stilmerkmalen der italienischen Humanistenhandschriften verbindet.
Die Bedeutung des vorliegenden Druckes liegt jedoch auch in der spannenden Historie rund um die drei Menschen, die mit ihrer Erfindung des Buchdruckes eine Revolution in Gang brachten, ebenso wie dies heute Visonäre wie Steve Jobs, Marc Zuckerberg oder Elon Musk durch ihre Erfindungen realisieren. Diese Inkunabel entstand sozusagen noch in der „Garagenphase“ der drei Gründer der ersten Buchdruckerei und der direkten Verbindung des Erfinders Johann Gutenberg (1400-1468), des Anwaltes und Geldgebers Johannes Fust (1400-1466) und des jungen Gesellen Peter Schöffer (1425-1503). Der Mainzer Kaufmann und Jurist Johannes Fust beteiligte sich ab etwa 1449 mit Geldanlagen an der Druckwerkstatt Gutenbergs und förderte die Herausgabe der Gutenberg-Bibel. Johannes Gutenberg hatte sich mehrfach Geld von Fust geliehen, wofür sich dieser im Gegenzug die Teilhaberschaft an seinem Werk gesichert hatte. 1455 klagte Fust gegen Gutenberg. Der Grund waren Gelder, die dieser unterschlagen haben sollte. In dem Prozess trat Peter Schöffer als Zeuge gegen seinen Meister auf und heiratete später dessen Tochter. Nach der Übernahme des produktiven Teiles der Gutenberg-Werkstatt durch Fust wurde Schwiegersohn Schöffer zunächst Werkstattleiter und später, nach dem Tode Fusts auch deren Inhaber. Als Mitarbeiter Gutenbergs hatte Peter Schöffer gesellschaftlich und innerbetrieblich somit wohl eine weitaus höhere Stellung als die eines normalen Mitarbeiters. Eine Revolution frisst bekanntlich ihre Kinder: Altmeister Gutenberg war nun in finanzielle und juristische Kalamitäten verstrickt, der aufstrebende Schöffer hingegen produzierte und erarbeitete sich Grundlagen für technische Verbesserungen und ästhetische Weiterentwicklungen an den Lettern und entwickelte somit neue, eigene Drucktypen. Aus Monopol und Marktführerschaft dieser genialen Erstdrucker sollte sich in Mitteleuropa nur wenige Jahre später ein erbitterter Konkurrenzkampf um die Pfründe der Medienrevolution entwickeln.
Bemerkenswert sind im vorliegenden Druck die vier prachtvoll ausgemalten Initialen, die Eberhard König in seinem Aufsatz „Für Johannes Fust“ (in: Ars Impressoria. Festgabe für Severin Corsten, München 1986, S. 285-313) dem „Fust-Meister“ zuschreibt, der für die Fust-Schöffersche Offizin Exemplare des Duranti, einige spätere Exemplare der 42-zeiligen Gutenbergbibel sowie ein Exemplar der Mainzer Bonifatius-Ausgabe von 1465 illuminierte (vgl. Bibliotheca Philosophicarrinetica Nr. 59).
Als das erste gedruckte Buch nach Bibel und Psalter liegt offensichtlich auch ein logischer Zusammenhang zur großen inhaltlichen Bedeutung dieses Werkes auf der Hand. Dieses theologische Hauptwerk von Durandus beschreibt die allegorische Messerklärung und deutet die Liturgie in allen Einzelheiten als eine symbolische Vergegenwärtigung der Heilsgeschichte. Das Werk ist in acht Bücher gegliedert. Diese bedeutende Schrift hatte einen bis ins 19. Jahrhundert hinein andauernden Einfluss auf das katholische Liturgieverständnis. Durandus von Mende, auch Guillaume Durandi genannt, war ein französischer Dominikaner, Kanonist und Liturgiker. Von 1286 bis zu seinem Tod war er Bischof von Mende.
Das Werk besticht außerdem durch seine Seltenheit. Weltweit sind ähnlich der Gutenbergbibel nur drei Exemplare in privater Hand bekannt.
Entsprechend seiner Bedeutung verfügt diese herausragende Inkunabel über erstklassige Provenienz. Hierbei sind die Parmentier Collection, die Collection Estelle Doheny aber auch die Bibliotheca Philosophica Hermetica besonders hervorzuheben.
Zweispaltige gotische Durandus-Type in 63 Zeilen. Diese Type schuf der Gutenberggeselle eigens für diesen Druck, denn er konnte ja außer der Gutenbergbibel nicht auf andere Typen zurückgreifen. Teilweise auch in Rot gedruckt. Auch die Buchmalerei in diesem Buch, welches nur vier Jahre nach der Gutenbergbibel auf derselben Presse entstand, ist revolutionär. Wir finden hier vier große, illuminierte und goldgehöhte Initialen des „Fust-Meisters“ mit reichen floralen Rankenwerkausläufern in Gold und Farben. „This illuminator apparently worked at the Fust-Schoeffer shop and was largely responsible for all the illuminations of the Durandus edition. He also illustrated some late copies of the 42-line Gutenberg Bible and the B.H.P. copy of the Boniface Liber sextus“ (Magg Ford). Der Druck ist weiterhin ausgestattet mit Hunderten dreizeiligen Lombarden in Rot mit lilafarbenem Federwerk sowie, etliche in Blau eingemalte Lombarden mit Federwerk in Rot.
In der Literatur finden sich unterschiedliche Aussagen über die Frage, ob die roten Initialen gedruckt oder per Hand eingemalt wurden, ebenso wie die roten Textpassagen. GW gibt hier verschiedenste Varianten an: „Hinsichtlich der Initialen und des Rotdruckes begegnen zahlreiche Abweichungen: 1) Bei einigen Ex. fehlen die großen zweifarbig gedruckten Initialen zu Beginn des 1.-8. Buches (Pell 4491; z.B. Ex. Basel UB u.v.a.). – 2) In einigen Ex. ist nur die Initiale (P) auf Bl. 1b gedruckt. – 3) Die gedruckten Initialen fehlen am Anfang von Buch 6 u. 8 (z.B. Ex. ehem. Galitzin); am Anfang von Buch 7. – 4) Zu Beginn des 8. Buches ist die meist fehlende Initiale (P) gelegentlich auch gedruckt (BMC; z.B. Ex. 1 London BL). – 5) Der für die Initialen zu Anfang eines jeden Buches ausgesparte Raum ist in einigen Ex. größer und der Text durch häufigere Abbreviaturen enger gesetzt; z.B. Bl. 1a Z. 3 eccľa (statt eccľia-); … Gleichzeitig fehlt der Rotdruck zu Beginn des 4. u. 7. Buches (z.B. ein Ex. Paris BN). – 6) Die gedruckte Initiale zu Beginn des 4. Buches, der Rotdruck am Anfang des 4., 7. u. 8. Buches und an zahlreichen Stellen im Text von Buch 1 an fehlen (z.B. Ex. München SB). Der Rotdruck fehlt zu Beginn des 8. Buches und an mehreren Stellen im Text vom letzten Teil des Buches 6 ab (z.B. Ex. Berlin SB).“
Unser Exemplar verfügt über die identischen Lombarden mit demselben Federwerk wie das Exemplar der Bibliothèque Sainte Geneviève in Paris. Das Münchner Exemplar hingegen verfügt ebenso wie die Blätter des Germanischen Museums über leicht abweichende rote Lombarden. Diese Tatsache bestätigt ebenso wie die optische Untersuchung unsere Auffassung, dass die Lombarden in der Offizin von Schöffer sämtlichst per Hand eingemalt und nicht gedruckt wurden. Bei den roten Textpassagen kann durch vorliegendes Exemplar belegt werden, dass diese zwar meist gedruckt wurden, es jedoch Ergänzungen gab, welche kaum sichtbar mit Hand vorgenommen wurden. An zwei Stellen ist die rote Schrift etwas schwächer und verwischt, was bei gedruckten Lettern schwerlich möglich ist. Diese offensichtliche Mischform zwischen rotem Druck und Handschrift verdeutlicht anschaulich, welche technischen Herausforderungen der Rot-/Schwarzdruck für die Drucker darstellte. Um möglichst nahe den von Handschriften gewohnten Schriftspiegel abbilden zu können, mussten die Drucker einen sehr hohen und häufig fehlerbehafteten Aufwand betreiben, denn anders als bei einer Handschrift, entstanden die schwarzen und roten Drucktexte nacheinander, was für die präzise Einrichtung der Matrizen eine enorme Herausforderung bedeutete. Während Gutenberg und Fust sich diese Mühen noch weitgehend ersparten (siehe Bibel um 1555 – ISTC ib00526000) und lediglich den Textbeginn mit dreizeiligem Text in Rot druckten, stellten sich Fust & Schöffer dieser technischen Herausforderung. Die Absatzzeichen in Blau und Rot über dem Satzspiegel wurden jedoch mit Hand eingemalt.
Satzspiegel: 28,5 x 19 cm; Blattformat: 41 x 29,5 cm.
156 (von 160) nicht num. Blatt. Es fehlen die vier Blätter 1, 14, 20 und 27, welche im perfekten, und selbst vom geübten Auge im kaum erkennbaren Faksimile ergänzt wurden. Hierbei wurden u.a. die Absatzzeichen in Rot und Blau ergänzt, die Bordüren in Form und Stil der Zeit auf Blatt 1 und 14 in Gold und Farben mit Federwerk mit kunstvoller Hand ergänzt sowie je eine Goldinitiale auf Blatt 20 und 27. Das Pergament auf der Rectoseite ist jeweils gelbstichig, was nur deshalb eine optische Unterscheidung zum Original zulässt. Blatt 159 fehlgebunden (verso for recto). Rechts oben jeweils handschriftliche Paginierung von alter Hand.
Lagenformel: a-b10; c12-2; d10-2; e-f10; g8-1; h2; i10-2; k6; l10; m-n12-2; o-p10; q8; r12-2; s12-1.
Attraktiver blindgeprägter brauner Maroquineinband des 20. Jahrhunderts, signiert von Riviere & Son. Rücken mit goldgeprägtem Titel. Gebunden auf sechs Bünden. Sehr guter bis ausgezeichneter Zustand. Gelenke, Kanten und Ecken nur minimal berieben. Der schwere Buchblock und die Bindung sind fest und stabil. Großfolio: 42,5 x 32 x 6,5 cm.
Sehr guter, genuiner Zustand. Breitrandiger, sehr sauberer und kräftiger Druck auf Pergament. Nur vereinzelt in den Rändern etwas fleckig und/oder materialbedingt knittrig und verfärbt. Ab und an materialbedingte Löchlein. Blatt 113 mit sorgfältig restauriertem Ausriss am rechten Rand ohne Textverlust. Erste Blatt mit einigen kleineren Wurmlöchlein in den Rändern. Keinerlei Ausrisse, Risse oder Verluste.
Literatur: ISTC id00403000; GW 9101; BSB-Ink D-324; BMC I 20; Hain-R. 6471; BMC I, 20; Goff D-403; de Ricci 65; van Praet 63-67; Pellechet 4491; CIBN D-278; Oates 21; Bod-inc D-178; Proctor 66.
Bibliotheken: ISTC verzeichnet vollständige Exemplare weltweit in 40 Bibliotheken und weitere 22 Einrichtungen mit unvollständig oder fragmentarisch erhaltenen Stücken. Der GW spricht von insgesamt 69 Exemplaren weltweit, die aller wenigsten auf Pergament gedruckt.
Hiermit bestätigen wir Originalität sowie einwandfreie Herkunft der vorliegenden Inkunabel. Das Objekt ist zum Zeitpunkt des Verkaufs frei von Rechten Dritter und wurde mit den Verlustdatenbanken abgeglichen. Ferner ist hier eine unbedenkliche Provenienz nachweisbar. Für die Lieferung außerhalb der EU ist eine Ausfuhrgenehmigung der Kulturbehörden erforderlich. Diese wird von uns nach Eingang des Kaufpreises beantragt und dauert ca. 14 Tage. Für die Verbringung in EU-Länder ist aufgrund der festgelegten Wertegrenzen keine Ausfuhrgenehmigung erforderlich.
Durandus von Mende (1230-1296)
Rationale divinorum officiorum.
Johann Fust & Peter Schöffer, Mainz, 6. Oktober 1459
Reich illuminierte Handschrift auf Jungfernpergament. Diese Handschrift gehört zu den sogenannten „Perlbibeln“, den kleinsten Vollbibeln überhaupt. Dieser Handschriftentyp wurde im frühen 13. Jahrhundert im Umkreis der Pariser Universität entwickelt, um den neuen Bedürfnissen der sich zu dieser Zeit herausbildenden Metropolen zu entsprechen. Insbesondere die gewachsenen Anforderungen an Mobilität ließen die bis dahin in den Abmessungen eher voluminösen Bibeln auf ein Kleinstformat reduzieren. Sie passte somit unter die Kutten der Mönche, die das Wort Gottes in den Metropolen verbreiteten. Daher wird dieser Bibeltypus auch „Taschenbibel“ genannt.
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