Hieronymus Oertel (1543-1614),
Hofprokurator und Notar am kaiserlichen Hof in Wien.
Mikrografisches Gebetsbuch
„Ein kurz Andechtigs Betbuechlin beschriben durch mich Hieronymum Örtl Im 80. Jar da Ich In der gefencknis war.“
Wien, 1580
Deutsche Handschrift auf Pergament. Sowohl kalligrafisch, als auch historisch bedeutsames Dokument aus der Zeit der Auseinandersetzung der Katholiken mit den Reformatoren in Wien aus der Zeit von Kaiser Rudolf II..
Der Schreiber dieses bemerkenswerten kalligrafischen Gebetbuches, Hieronymus Oertel, Sohn des Augsburger Syndicus Franz Oertel zu Augsburg, wurde 1543 in Augsburg geboren und starb 1614 in Nürnberg. Er kam bereits im Alter von 15 Jahren an den kaiserlichen Hof und bekleidete später die Stelle eines kaiserlichen Hofprokurators und Notars in Wien. Er war ein eifriger Verfechter der freien Ausübung der Augsburger Konfession in österreichischen Landen. Nachdem im Jahr 1577 Kaiser Rudolf II. diese den evangelischen Ständen in Österreich untersagte und der kaiserliche Statthalter, Erzherzog Ernst, durch ein allgemeines „Decretum reformationis“ 1578 den Städten und Märkten die Einstellung des evangelischen Gottesdienstes und unter Androhung harter Strafe die Rückkehr in den Schoß der katholischen Kirche auferlegt hatte, gehörte Oertel zu den Unterzeichnern einer dagegen gerichteten Petitionsschrift. Ihm wurde deswegen zusammen mit anderen 1580 in Wien der Prozess gemacht, der mit dem Todesurteil endete. Während seines Gefängnisaufenthaltes „im [15]80. Jar“ schrieb Oertel nach Ausweis des Titels das vorliegende Gebetbuch. Das Todesurteil wurde später in lebenslange Verbannung umgewandelt, worauf sich Oertel in Nürnberg niederließ und dieses Gebetbuch mit sich nahm. Von ihm stammen einige dort verfasste historische Werke, zum Beispiel seine weithin bekannte ungarische Kriegschronik.
Bemerkenswert sind die letzten acht mikrografisch geschriebenen Seiten, deren fein geschriebenen Texte man nur mit der Lupe entziffern kann. Sicherlich dem Umstand seines Gefängnisaufenthaltes und der dortigen Materialknappheit geschuldte, schrieb er aus der Not heraus sein Gebetbuch in solch kleinen Maßen und unterstrich hiermit die Meisterlichkeit seiner Handschrift. Dieses Buch sollte sozusagen seinen Abschied an die irdische Welt darstellen. Da er der Vollstreckung der Todesstrafe entkam lässt vermuten, dass er dieses Buch mit nach Nürnberg nahm und dort die Blätter verwahrte und vererbte. Vermutlich hat einer seiner Nachfahren die Blätter in den prachtvoll gestalteten Einband gebunden und verwahrt, bis sie schließlich in die USA gelangten (siehe Provenienz).
Uneinheitliche Schriftspiegel 33-40 x 26-33 mm. Rot regliert. Kalligrafische Fraktur in schwarzer, roter, blauer und goldener Tinte. Füll- und Schlussstücke aus teils goldgehöhten Fadenranken. Der Anhang in Mikrografie mit schwarzer Tinte in von goldenen Blattkränzen eingefassten Medaillons. Die Überschriften in roter Tinte.
Blattmaße: 63 x 48 mm.
98 nicht num. Blatt Gebetbuchtexte, 2 leere Blatt; 8 Blatt Texte in Mikrografie. Zusammen 108 nicht num. Blatt. Augenscheinlich vollständig.
Brauner Leineneinband des 18. Jahrhunderts über Holzdeckelchen auf zwei Bünden. Acht prachtvolle Eckbeschläge sowie zwei intakte Schließen aus ziseliertem Silber. Buchschnitt dreiseitig ziseliert und vergoldet. Die Vorsätze aus weißem Papier. Das Büchlein befindet sich in einer modernen gefütterter Leinenkassette. Guter Zustand mit Gebrauchsspuren. Rücken teilweise aufgeplatzt und alt repariert. Buchblock wohl bei der Neubindung beschnitten. Dabei die Titelschrift im Vorderschnitt etwas angeschnitten. Innengelenke und eine Lage gelockert.
Mikroformat: 6,5 x 5,5 x 2,5 cm.
Guter bis sehr guter Zustand. Überwiegend saubere Handschrift. Pergamentbedingt partiell etwas knittrig und gebräunt. Keine nennenswerten Risse, Ausrisse oder Verluste.
Sammlung Claris W. Hamill (1884-1973) – dessen Exlibris auf dem vorderen Spiegel. Bei einer Auktion in Boston verkauft und vom Vorbesitzer vor mehr als 20 Jahren bei einem rheinischen Antiquar erworben.
Literatur: Will und Nopitsch, Nürnbergisches Gelehrtenlexikon; Bernhard Raupach, Evangelisches Oesterreich. 1. Bd. Hamburg 1732; Franz Christian Khevenhiller, Annales Ferdinandei. Bd.1, Leipzig 1721; Albrecht Stauffer, Hermann Christoph Graf von Rusworm, kaiserlicher Feldmarschall in den Türkenkämpfen unter Rudolf II., München 1884, S. 211 ff.; Ernst Mummenhoff, Oertl, Hieronymus in ADBiographie 24 (1887), S. 445-446
Hiermit wird die einwandfreie Herkunft der vorliegenden Handschrift bestätigt. Das Werk ist zum Zeitpunkt des Verkaufs frei von Rechten Dritter und wurde mit der LostArt-Datenbank abgeglichen. Für die Lieferung außerhalb der EU ist eine Ausfuhrgenehmigung der Kulturbehörden erforderlich. Diese wird von uns nach Eingang des Kaufpreises beantragt und dauert ca. 14 Tage.
Hieronymus Oertel, Hofprokurator & Notar am kaiserlichen Hof in Wien
Mikrografisches Gebetsbuch
Wien, 1580
Reich illuminierte Handschrift auf Jungfernpergament. Diese Handschrift gehört zu den sogenannten „Perlbibeln“, den kleinsten Vollbibeln überhaupt. Dieser Handschriftentyp wurde im frühen 13. Jahrhundert im Umkreis der Pariser Universität entwickelt, um den neuen Bedürfnissen der sich zu dieser Zeit herausbildenden Metropolen zu entsprechen. Insbesondere die gewachsenen Anforderungen an Mobilität ließen die bis dahin in den Abmessungen eher voluminösen Bibeln auf ein Kleinstformat reduzieren. Sie passte somit unter die Kutten der Mönche, die das Wort Gottes in den Metropolen verbreiteten. Daher wird dieser Bibeltypus auch „Taschenbibel“ genannt.
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